Von Syndikalisten geführter Streik in Witten

Im März 2020 sollte es einen Schwarzen Tresen zur „Märzrevolution 1920“ und eine Radtour „Auf den Spuren der Roten Ruhrarmee“ geben. Beides musste aufgrund der aktuellen Situation leider ausfallen. Auf dem Schwarzen Tresen wäre folgende Episode vom Referenten Ralph Klein vorgetragen worden. Wir weisen darauf hin, dass das Buch „Kapp-Putsch und ‚Märzrevolution‘ 1920 in Witten“ von Ralph Klein – erschienen im März 2020 – weiterhin im Handel erhältlich ist.

Am 2. Oktober 1919 begann ein Streik im Wittener Präzisionsziehwerk Geißler, das bis in die 1920er Jahre in der Bruchstraße 10 (heute Dortmunder Straße) ansässig war. Das Werk existiert heute noch (Bebbelsdorf 104), es gehört zum Konzern Georgsmarienhütte GmbH. Gestreikt wurde ab Anfang Oktober 1919 gegen den Willen der Gewerkschaft, den Deutschen Metallarbeiterverband (DMV). Es war also ein „wilder“ Streik, wie sie in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg häufig waren. Die Belegschaft forderte von Chef Heinrich Geißler höhere Löhne als er mit der Gewerkschaft tariflich vereinbart hatte. Die Belegschaft erkannte den Tarifvertrag nicht an, weil er „ohne Wissen der Arbeiterschaft mit den Gewerkschaften (…) abgeschlossen“ worden war. Außerdem, so die Streikenden, fehlten im Vertrag Regelungen in Bezug auf die sehr harte und sehr schmutzige Arbeit. Geißler drohte mit Kündigung und weil das den Streik nicht beendete, entließ er am 28. Oktober die gesamte Belegschaft. Die Entlassenen appellierten an die Solidarität der Wittener Arbeiterschaft – sie sollte sich nicht von Geißler einstellen lassen, um den kämpfenden Arbeiter_innen nicht in den Rücken zu fallen. Die Belegschaft, die keinen Zugang zu Medien hatte, beschrieb den Konflikt und ihre Forderungen auf Flugblättern, die an geeigneten Stellen in der Stadt angeklebt oder angeheftet wurden. Geißler suchte per Annonce in den Wittener Tageszeitungen „Schlosser, Hülfsarbeiter, jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen“, also mehrheitlich jugendliche und unqualifizierte Streikbrecher – exakt jene Arbeiterinnen und Arbeiter, die zu Janhagel gehörten.

Über die Zahl der Belegschaftsmitglieder bei Geißler, über die Arbeitsbedingungen, die Tarife usw. ist mir im Augenblick nichts bekannt, außer dem Folgenden: Der Streik wurde von syndikalistischen Arbeitern ausgerufen. Er dauerte mehrere Wochen an und musste ohne Erfolg beendet werden. Die meisten der Streikenden wurden nicht wieder eingestellt. Der Deutsche Metallarbeiterverband reagierte mit unverhohlener Schadenfreude: Die „Auchgewerkschafter“ hätten weder bessere Tarife herausgeholt noch sonst irgendwelche Verbesserungen. Sie seien politische Kinder, Naivlinge, die die Belegschaft mit falschen Versprechungen zu unbesonnenen Taten verführten.

Der Streik bei Geißler ist der einzige von Syndikalisten geführte Streik, der mir bislang in Witten bekannt wurde.

Literatur in der Gustav-Landauer-Bibliothek

[Cover „Märzrevolution im Ruhrgebiet“]
[Cover „Krieg ohne Waffen?“]
[Cover „Die deutsche Revolution 1918/1919“]
[Cover „Leben ohne Chef und Staat“]