Di. 2. November: Peter Bierl: Die Querdenker: Antisemitismus, Verschwörungsideologie und Anthroposophie

Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, einer okkulten Weltanschauung, die sowohl die Waldorfpädagogik als auch die biologisch-dynamische Landwirtschaft fundiert, war davon überzeugt, dass das Judentum keine Existenzberechtigung mehr habe.

Er integrierte die christlichen Motive des jüdischen Gottesmörders und Gottesleugners in seine esoterische Evolutionslehre, in der Rassen und Völker bestimmte Missionen zu erfüllen haben. Zwar engagierte sich Steiner kurze Zeit im Verein zur Abwehr des Antisemitismus, blieb sich aber in einem Punkt stets treu: Juden müssten sich komplett assimilieren, jede eigenständige jüdische Identität sollte verschwinden. Daraus resultierte seine scharfe Abneigung gegen den Zionismus.

Den ersten Weltkrieg erklärten Steiner und seine Anhänger*innen als Verschwörung von Freimaurern, Jesuiten und Juden gegen Deutschlands spirituelle Mission. Die Shoa wurde von Anthroposophen als karmischen Ausgleich für einen vermeintlichen jüdischen Verrat an Christus gedeutet. Eine Aufarbeitung der Verstrickung in den Faschismus fand in diesen Kreisen nicht statt.

Die verschwörungsideologische Geschichtsdeutung wurde später von Renate Riemeck, einer Anthroposophin und Galionsfigur der Ostermarsch-Bewegung, vertreten, heute ist der Perseus-Verlag in dieser Sparte aktiv und manche Anthroposoph*innen tummeln sich in der Szene der Corona-Leugner*innen.

Peter Bierl ist freier Journalist und Autor. Er hat unlängst die Broschüre „Die Legende von den Strippenziehern. Verschwörungsideologie im Zeitalter des Wassermanns“ (2021) sowie „Die Revolution ist großartig. Was Rosa Luxemburg uns heute noch zu sagen hat“ (2020) veröffentlicht. Von ihm stammt auch die Studie „Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik“ (2005).