Einige Bemerkungen zur Aktivität der Edelweißpiraten Witten, zur Sozialgeschichte des Berger-Denkmals, des Hohensteins und zum Helenenturm

[Foto: Bergerdenkmal]

Berger-Denkmal auf dem Hohenstein
Video der Edelweißpiraten Witten

Das Berger-Denkmal steht ja auf dem Hohenstein und der verdankt seine heutige Gestalt den Kriegen des Preußen-Königs Friedrich II., genauer gesagt, den drei Schlesischen Kriegen, die Preußen gegen Österreich-Ungarn und seine Kaiserin Maria-Theresia führte. 1763 endete der dritte Schlesische Krieg, aus dem Schulunterricht vielleicht als der Siebenjährige Krieg in Erinnerung. Der Hohenzollern-König hatte seine Kassen mit dem Krieg ruiniert. Er oder einer seiner Berater verfiel auf die Idee, die Almende in Preußen aufzulösen, technisch hies das, die Marken aufzuteilen. Alle, die ein Recht auf Nutzung der Mark besaßen, sollten einen Anteil von ihr als privaten Besitz zur exklusiven Nutzung erhalten. Der Plan: wer das Land als Eigentümer landwirtschaftlich bearbeitet, erhöht die Ernte-Erträge, zahlt mehr Steuern und die Kasse des Königs füllt sich wie durch Zauberhand. Das galt natürlich auch für Witten, das zu Preußen gehörte.

Der Hohenstein war von alters her Teil der Wittener Mark, die der Dorfgemeinschaft insgesamt gehörte, neudeutsch: commons. Den Wittener Bauern gelang es rund 20 Jahre lang, den Angriff des Königs auf die Almende zurückzuweisen. Sie engagierten u. a. einen Notar, weil sie selber nicht lesen und schreiben konnten und natürlich keine juristischen Kenntnisse besaßen. Der tapfere Notar wurde in den Knast geworfen, weil er es wagte, die nichtsnutzigen Untertanen seiner Majestät juristisch zu vertreten. Diese Bauern waren nicht die ärmsten der Armen in Witten – unter ihnen gab es noch eine Schicht landloser Tagelöhner und anderer Habenichtse. Jedenfalls wurde der Hohenstein als Teil der Mark schließlich aufgeteilt. Manche Stücke waren zwar ziemlich lang, aber nur einen knappen Meter breit. Zu schmal, um auch nur einen Baum darauf zu pflanzen, geschweige denn, Weidewirtschaft oder was auch immer zu betreiben. Der königliche Plan scheiterte an dieser Stelle. Die Eigentümer verkauften ihre Teile, Wohlhabende aus der upper class kauften sich Land und bekamen ganz schöne Stückchen zusammen.

Inzwischen war es ungefähr 1890. Die Stadt Witten war der Meinung, sie brauche eine Attraktion, etwas, was die Leute nach Witten bringt. Und das sollte die geplante Provinzial-Irrenanstalt (sorry, aber so hieß sie nun mal) sein. Die Stadt kaufte Land auf dem Hohenstein und bot ihn der Provinz Westfalen (heute ist das der LWL) als Standort an. Die Findungskommission reiste eines Tages an, begutachtete den Platz und der Chef der Kommission, der damalige Dortmunder Oberbürgermeister, sagte: Also nein, das ist für die Irren viel zu schön. Dieser Platz solle den Wittener Bürgern vorbehalten bleiben, nirgendwo gebe es einen schöneren Blick ins mittlere Ruhrtal. Die Anstalt kam in seine eigene Stadt, nach Aplerbeck. Die Wittener hatten nun ein Problem: Was tun mit dem angekauften Land auf dem Hohenstein? Es hatte viel Geld gekostet und brachte nichts ein. Die eine Fraktion, die beim Ausgeben von Geld Magenschmerzen bekam und gelb im Gesicht wurde, wollte ihn wieder verkaufen. Das waren die damaligen Konservativen. Die Fortschrittlichen wollten das schaffen, was heute Naherholungsgebiet heißt: In Witten war die Luft stark verdreckt, und den Leuten eine Gelegenheit zum Durchatmen zu bieten, war kostengünstiger als die Ursachen der Umweltsauereien zu beseitigen. Sie setzten sich durch. Die Stadt kaufte weiteres Gelände an und eröffnete irgendwann kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts den Hohenstein als städtische Waldung zur Erholung. Paar Jahre später wurde das Parkhaus gebaut usw usw. In den 1920er Jahre gab es viel Streit um die Frage, ob auch der Pöbel die große Wiese am Berger-Denkmal weiterhin benutzen dürfe oder nur der solvente Bürger. Aber das ist eine andere Geschichte.

Inzwischen – 1894 – war Louis Berger gestorben. Seine dankbare Heimatstadt wollte ihm ein Denkmal setzen, und, wie es so schön heißt: „Der Westfale liebt es, das Gedächtnis seiner großen Toten durch hochragende Türme auf seinen heimatlichen Bergen zu ehren“, wie es eine Festschrift ausdrückte. 1904 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, es gewann der Entwurf mit dem Motto: „Arbeit ist des Bürgers Zierde.“ Der Entwurf und damit dieses Motto wurde errichtet. Der Turm erinnert uns also immer an (Lohn-)Arbeit, (Lohn-)Arbeit, (Lohn-)Arbeit.

[Porträtfoto: Louis Constanz Berger]

Louis Constanz Berger

Und wer war Louis Berger? Nur so viel: Louis Berger (28. August 1829 bis 9. August 1891) war nicht ein Gegner, sondern ein Feind der damals neuen Sozialdemokratie, und er war ein Feind der Arbeiterschaft, jedenfalls dann, wenn sie sich nicht mit seinem alt-patriarchalen Umgang mit ihr zufrieden gab. In einer Rede als Abgeordneter des Preußischen Landtags z.< B. wütete er am 15. März 1890 gegen die streikenden Bergarbeiter vom Mai 1889. Den hatten die Bergarbeiter verloren, auch die in Witten bei Zeche Nachtigall etc. hatten klein beigeben müssen. Er war der Start zur gewerkschaftlichen Organisation, des „Alten Verbandes“ (der nach der Novemberrevolution 1918 und im Kapp-Putsch 1920 überhaupt nicht mehr fortschrittlich war, aber seine Gründung war ein Meilenstein). Man dürfte nicht zu weit gehen, wenn man sagt: Das Berger-Denkmal ist auch das Denkmal eines rücksichtslosen Kapitalisten und Arbeiterfeindes.

[Foto: Helenenturm in Witten]

Helenenturm

Und der Helenenturm? Bergers Familie gehörte zu den Familien, die die Industrialisierung in Witten rücksichtslos vorantrieben. Sie kam übrigens aus Bommern. Der erste Berger machte sein Geld im Transportwesen auf der Ruhr. Eine zweite, vergleichbare Familie waren die Lohmanns. Der erste der Sippschaft entrang dem Feudaladel sein Schloss, das Haus Witten und verwirklichte sich seinen Bürgertraum vom Adelsschloss. Im Schloss baute er eine Stahlfabrik auf bzw. ließ aufbauen. Die Firma gibt es heute noch, in Herbede. Mit dem Erwerb von Haus Witten erwarb Lohmann auch das Recht, die Fähre über die Ruhr zwischen Witten und Bommern zu betreiben. Das brachte eine Menge Geld ein. Fieserweise verringerte der preußische Staat in den 1840er Jahren die Tarife für eine Überfahrt und Lohmanns Einkünfte schwanden dahin. Man verklagte den Preußischen Staat und gewann. Der Staat musste den Einnahmeverlust ausgleichen. Die Lohmanns waren Kapitalisten, keine Juristen. Deshalb hatten sie den früheren Direktor des Landgerichts Bochum, Justizrat Eduard Strohn, mit ihrer Vertretung beauftragt. Der hatte 1841 die Tochter des alten Lohmann geheiratet, eine gewisse Helena Henriette Lohmann. Helena starb Mitte der 1850er Jahre, knapp 40 Jahre alt. Aus dem erstrittenen Geld finanzierte Strohn den Turm zur Erinnerung an Helena. Das Grundstück gehörte den Lohmanns, sie stellten es zur Verfügung. Übrigens waren Bergers und Lohmanns durch Heirat miteinander verbunden.

Mit anderen Worten: Hoch über Witten thronen symbolisch die Erben des alten Feudaladels, die Kapitalisten, die die Industrialisierung in Witten durch konsequente, im kapitalistischen Sinn produktive Zerstörung vorantrieben. An die Menschen, die sie ausbeuteten und denen sie ihren Reichtum verdankten, erinnert nichts dort oben.

[Foto: Republikanerdenkmal auf dem Hohenstein in Witten 2013; die Bronzereliefe wurden gestohlen]

Republikanerdenkmal

Nebenbei: Es gibt ein weiteres Denkmal dort oben, am oberen Ende der großen Wiese, das so genannte Republikaner-Denkmal für Erzberger, Rathenau und Ebert. Es wurde am 9. August 1926 auf Initiative des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold errichtet, das explizit antifaschistisch ausgerichtet war. Die Nazis bezeichneten es als das „Novemberverbrecher-Denkmal“ marxistischer Gruppen und machten auf Antrag des „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“ daraus ein Schlageter-Denkmal. Sein Schicksal nach dem Krieg ist nicht sicher bekannt; wahrscheinlich wurde die Schlageter-Tafel entfernt, das Denkmal wurde geschleift und zu Schotter verarbeitet und beim Bau der Straße, die zum Hohenstein hinauf führt, verwandt. Zum 40. Jahrestag des Kriegsendes im Mai 1985 ließ die SPD es instandsetzen bzw. neu errichten, feierte besonders ihren Partei-Helden Friedrich Ebert (über dessen unrühmliche und antirevolutionäre Tätigkeit ich mir hier jede Bemerkung verkneife) und bezeichnete das Denkmal als Mahnmal gegen Hass und Gewalt. Die Wittener FAP-Nazis kippten später Farbe darüber. Es steht unter Denkmalschutz und ist gewiss das am stärksten umkämpfte Denkmal in Witten.

Bücher in der Gustav-Landauer-Bibliothek Witten

[Cover „Rebellen mit dem Edelweiß“]
[Cover „Latscher, Pimpfe und Gestapo“]
[Cover „Rheinpiraten“]
[Cover „Ruhrpiraten“]