Das Verhältnis der deutschen Linken zum Antisemitismus erscheint auf den ersten Blick als ein antagonistisches. Nicht nur das erklärte Ziel der universalen Befreiung aller Menschen, sondern auch das sich auf den Erfahrungen des Nationalsozialismus begründende antifaschistische Selbstverständnis der Linken, schlossen klassische Formen des Antisemitismus grundsätzlich aus. Die sich daraus vermeintlich ableitende These, dass die politische Linke in Deutschland immun gegenüber antisemitischen Denkmustern wäre, erweist sich jedoch mit Blick auf ihre Geschichte als unhaltbar. Der Anschlag der „Tupamaros Westberlin“ auf das jüdische Gemeindehaus 1969, wie auch die positiven Reaktionen der RAF und anderer radikaler Gruppen auf die Ermordung der israelischen Olympiasportler 1972, lassen sich nur schwerlich mit dem Bild einer vom Antisemitismus unberührten politischen Bewegung in Einklang bringen. Aber auch gegenwärtige Entwicklungen, wie das Wiederaufleben maoistischer und autoritärer Strömungen innerhalb der radikalen Linken, zeigen, dass derartige Denkmuster weder als singulär noch als überwunden gelten können. Ferner stellt sich aktuell die Frage, inwiefern antisemitisches Gedankengut nicht nur im traditionellen Antiimperialismus, sondern auch in anderen Strömungen der gegenwärtigen Linken wiederzufinden ist. So bewerteten Teile der antikolonialen und antirassistischen Bewegungen der letzten Jahre den Nahostkonflikt vor dem Hintergrund eines essentialistischen Verständnisses von Kultur und Nation und suchten in der Frage um die Delegitimierung Israels die Nähe zu antisemitischen Bündnispartnern. Ziel des Vortrages ist es daher antisemitische Positionen innerhalb der gegenwärtigen Linken in Theorie und Praxis beispielhaft sichtbar und vor dem Hintergrund bestimmter historischer Denktraditionen erklärbar zu machen.
Fr. 10. Dezember 2021, geöffnet: 19:00 Uhr, Beginn: 20:00 Uhr
Diese Veranstaltung ist Teil der Vortragsreihe Die vielen Gesichter des Antisemitismus.