Philosophie und Judentum bei Gustav Landauer
Vortrag von Dr. Siegbert Wolf
Gustav Landauer in den 1890er Jahren
Philosophisches Denken betrieb der libertäre Sozialist Gustav Landauer (1870–1919), bedeutender Theoretiker des deutschsprachigen Anarchismus und Initiator zahlreicher libertärer Projekte, nie als Selbstzweck. Vielmehr zielte er stets auf das Leben der Menschen, auf deren gesellschaftliche Praxis, mit dem Ziel einer globalen Menschwerdung auf der Grundlage von Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Deutlich wird Landauers tiefes Verständnis von Philosophie als ein Erkenntnisinstrument, nicht um die Welt zu interpretieren, sondern um sie zu verändern. Langjährige Gesprächspartner fand er hierbei vor allem in Fritz Mauthner, Martin Buber, Constantin Brunner und Ludwig Berndl. Besonders in der Sprachkritik erkannte er ein Mittel zur Kritik der instrumentellen Vernunft und zur Auflösung herrschaftsorientierter Ideologien. „Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik“ (1903) zählt zu Gustav Landauers philosophischen Hauptwerken. Gebührt dieser sprach- und vernunftkritischen Monographie der Rang einer grundlegenden Sprachphilosophie des Anarchismus, so gilt dies für seine 1907 erschienene Studie „Die Revolution“ gleichermaßen hinsichtlich einer fundierten libertären Geschichtsphilosophie.
Hinzu trat Landauers bewusstes Bekenntnis zum Judentum, das einherging mit einer Wiederentdeckung der jüdischen Tradition, der mystischen und häretischen Quellen des Judentums (Messianismus, Kabbala, Chassidismus). Es entsprang vor allem kulturellen Impulsen eines engen Zusammenhanges zwischen Judentum und Menschheitsidee. Im Prozess eines neuen, sozialen Umgangs der Menschen untereinander, maß er dem lebendigen Judentum mit seinen Nächstenliebe– und Gerechtigkeitsmotiven, den das Gemeinschaftsleben verkörpernden Traditionen sowie dessen kultureller Vielfalt, eine bedeutende Vorreiterrolle bei der Regeneration der gesamten Menschheit zu.
Zur Person des Referenten:
Siegbert Wolf, geb. 1954, Dr. phil., Historiker und Publizist in Frankfurt am Main. Zahlreiche Bücher u. a. über Gustav Landauer, Martin Buber, Hannah Arendt, Jean Améry sowie zur Frankfurter Stadtgeschichte: Hrsg.: Jüdisches Städtebild Frankfurt am Main (1996); zuletzt: Gustav Landauer, Die Revolution (1907). Hrsg. und mit einem Vorwort von Siegbert Wolf. Münster 2003 (= Klassiker der Sozialrevolte, Bd. 9); Werner Portmann / Siegbert Wolf, „Ja, ich kämpfte”. Von Revolutionsträumen, „Luftmenschen” und Kindern des Schtetls. Biographien radikaler Jüdinnen und Juden. Münster 2006; Milly Witkop, Hertha Barwich, Aimée Köster u. a.: Der „Syndikalistische Frauenbund”. Hrsg. und mit einer Einleitung von Siegbert Wolf. Münster 2007 (= Klassiker der Sozialrevolte, Bd. 17); Maria Regina Jünemann: Die Anarchistin. Roman. Neu herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Siegbert Wolf. Lich / Hessen 2008 (= Libertäre Bibliothek, Band 2). Seit 2008 Herausgeber der Ausgewählten Schriften Gustav Landauers im Verlag Edition AV (Lich / Hessen) Bisher erschienen: Band 1: Internationalismus. (2008); Band 2: Anarchismus (2009); Band 3.1: Antipolitik (2010); Band 3.2: Antipolitik (2010). Band 4: Nation, Krieg und Revolution (2011); Band 5: Philosophie und Judentum (2012); Band 7: Skepsis und Mystik (2011). (Video zur Illustration zu Skepsis und Mystik)
Der Kultur- und Sozialphilosoph Gustav Landauer gehörte neben Rudolf Rocker und Fritz Kater zu den herausragenden Vertretern des deutschsprachigen Anarchismus im 20. Jahrhundert.
Als Karlsruher Gymnasiast hatte er Altgriechisch gelernt und wusste um die vielfältige Bedeutung des Wortes „anarchos“: an- als Vorsilbe bedeutet „ohne“, archē als Substantiv „Anfang“, „Grund“, „Materie“, „Prinzip“ und „Herrschaft“. Schon der Erfinder des industriezeitalterlichen Anarchismusbegriffes, der Franzose Pierre-Joseph Proudhon, war in Kenntnis dieser Bedeutungsvielfalt und beeinflusste Landauers Denkwege.
„Der Sozialist“ – Zeitschrift des Sozialistischen Bundes
Im Gefängnis Berlin-Tegel beschäftigte sich Landauer 1899 u. a. mit Pseudo-Dionysius Areopagita und Meister Eckhart und entwickelte die Vorstellungen eines freien Sozialismus, die er in der Zeitschrift Der Sozialist verbreitete und im Sozialistischen Bund ausprobierte.
Die Wittener Gartenstadt Crengeldanz ist ein Ergebnis der Gartenstadt-Bewegung, der auch Landauer in Berlin angehörte. Er unterstützte den Siedlungsgedanken durch zahlreiche Vorträge und wurde auch von jüdischen Siedlern rezipiert (Kibbuzim).
Im Gedenken an Gustav Landauer hat das „Trotz Allem“ in Witten seine Bibliothek nach ihm benannt. Dort findet sich Literatur zu den politischen Themen, die die Menschen in den letzten Jahrzehnten hat umtreiben lassen.
Anlässlich des Vortrags präsentiert das „Trotz Allem“ innerhalb einer kleinen Ausstellung eine Auswahl von Büchern und Texten zu Landauers Leben und Werk. Kooperationspartner der Veranstaltung ist die Deutsch-Israelische Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Witten.